Dokumente einer Zeit

Im Spannungsfeld zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit gab es um 1930 in Deutschland eine Reihe junger Maler, die auf dem Sprung waren, Karriere zu machen. Sie hatten, frisch von der Akademie kommend, Begabung unter Beweis gestellt und auch schon die eigene Handschrift sichtbar werden lassen. Doch durch das Kunstdiktat der Nationalsozialisten wurden viele der hoffnungsvollen Ansätze zerstört. In der Nachkriegszeit wurden die meisten Künstler zusätzlich dadurch verunsichert, daß nach dem Mißbrauch des Realismus außerhalb der Abstraktion kaum etwas möglich schien. Was wäre also aus jener Künstlergeneration geworden, hätte es diesen doppelten Bruch nicht gegeben? Auch der Kasseler Maler Carl Döbel (1903 – 1959) zählt zu den Opfern jener Entwicklung.

Die Aufmerksamkeit, die er zu Beginn der 30er Jahre weit über die Stadt hinaus errungen hatte, konnte er in seiner Hauptschaffenszeit nach dem Krieg nicht wieder erlangen. In seiner Heimatstadt setzte er sich jedoch in
den 50er Jahren als ein Wortführer der Moderne durch. Er war ein regional höchst erfolgreicher Künstler, dessen Bilder viele Wohnungen und öffentliche Gebäude schmückten; später entschwand er dann allmählich aus dem Bewußtsein.

Jetzt, fast 30 Jahre nach Döbels Tod, erinnert der Kasseler Kunstverein wieder an das Werk Döbels. Großzügige Spenden ermöglichten es, die weit verstreuten Bilder zusammenzutragen und mit einem kleinen Katalog zu präsentieren. Der Ausstellungstitel „Traumschiffe“ spielt darauf an, daß Schiffe, insbesondere Segelschiffe mit ihren hohen Masten, zum Zentralmotiv, ja, zum Markenzeichen von Döbels Malerei wurden. Der Kunstverein feiert ihn als einen besessenen Maler, der dem einen Motiv immer neue Aspekte abgewinnen konnte. Die Ausstellung spiegelt daher die Fülle des Schaffens – im großen Saal sind die Bilder nebenund übereinander gehängt. Hier vor allem wird Döbels Werk verstärkt durch die damals modernen Rahmen – zu einem Dokument der 50er Jahre.

Bis in
die Farbkombinationen hinein (Schwarz, Rot, Blau) ist der Geist jener Zeit spürbar. Döbel war kein Künstler, der neue Wege wies. Impulsiv nahm er Anregungen auf und machte sie seiner Kunst zunutze, im Vorhof der Abstraktion fand er einen attraktiven Platz. Er war dabei ein kraftvoller Maler, der einen ausgeprägten Sinn für den Umgang mit Farben und für Bewegung in der Komposition hatte. Bisweilen kratzte er mit dem Pinselstiel die Zeichnung in die Farbschicht hinein. Seine Malkunst leuchtete, wenn er zu den dunklen Farben griff. Die „Traumschiffe“ Döbels tragen noch heute die Sehnsüchte davon. Bei aller malerischen Raffinesse und Eleganz sind dies Bilder der Vergangenheit. Gegenwärtiger und damit zeitloser wirken die wenigen Beispiele seiner frühen Kunst wie die fest gebaute „Südliche Landschaft“ (1929) der düstere „Blick aus dem Fenster“ mit dem Totenkopf (1939/40) sowie das frühe Selbstporträt. Diese Bilder weisen über die „Traumschiffe“ hinaus.
7. 11. 1988

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