Das Bauhaus in der Aufbruchzeit

Eine fruchtbare Ausstellung zu der Frühzeit des Bauhauses ist in der Weimarer Kunsthalle zu sehen. Die Schau aus Anlaß der Bauhaus-Gründung vor 75 Jahren geht später nach Berlin und Bern.
Die Weimarer Kunsthalle am Theaterplatz ist nicht wiederzuerkennen. Mitten in die relativ kleine Halle ist ein zweistöckiger Einbau hineingesetzt worden, dem die Grundform eines Plakat-Motivs von 1923 als Grundriß dient. Durch die Übernahme des Zusammenspiels von Diagonalen und rechten Winkeln sowie Kreisformen wird der konstruktiv-architektonische Geist des Bauhauses zu einem Bestandteil der Ausstellung. Zudem wird auf diese Weise unaufdringlich ein System von Kabinetten, Vitrinen und Wänden gewonnen, in und an denen die Bilder und Objekte gezeigt werden können.

Und endlich erschließt die Treppe ins Obergeschoß eine Galerie, auf der weitere Arbeiten plaziert sind und von der man den Saal überblicken kann. Eine gelungene Inszenierung. Aber nicht nur der Rahmen stimmt. Durch die Zusammenarbeit der Kunstsammlungen Weimar, die zahlreiche Bauhaus-Dokumente besitzt, mit dem Bauhaus-Archiv Berlin und dem Kunstmuseum Bern (Sitz der Johannes Itten-Stiftung) sowie mit zahlreichen Leihgebern ist eine umfassende Übersicht über die Anfangsjahre der Kunsthochschule entstanden, die in den 20er Jahren weltweit Maßstäbe setzte.

Mit dem am 1. April 1919 gegründeten Bauhaus verbindet man allgemein Vorstellungen von vornehmlich konstruktiver Gestaltung, von schnörkellosem Design und kubischen Bauten. Doch die Ausstellung Zur Bauhaus-Ausstellung von 1923 schuf Joost Schmidt dieses Plakat. Jetzt dient das grafische Motiv als Grundriß für den Einbau in der Weimarer Kunsthalle. und der zum Handbuch gewordene Katalog (Verlag Gerd Hatje, 568 S., 50 Mark in der Ausstellung) verdeutlichen, daß erst mit dem Ausscheiden von Johannes Itten (1923) aus dem Bauhaus die konstruktiven Tendenzen die Oberhand gewannen und sich Walter Gropius mit seiner Ausrichtung auf vermarktbare Gestaltung durchsetzen konnte.

In den Jahren zuvor war das Bauhaus erst auf dem Weg zu sich selbst. Die Ausstellung trägt den Titel „Das frühe Bauhaus und Johannes Itten“. Damit schließt die Schau die anderen Meister, die zum Profil beitrugen, nicht aus. Im Gegenteil, die Werke von Feininger, Klee, Schlemmer, Kandinsky und Marcks bilden das brillante künstlerische Vorwort zu der Ausstellung. Aber erst durch Itten wurde das Bauhaus in pädagogischer Hinsicht zu dem, was es auszeichnete: Der Maler Itten führte das System der Vorkurse ein, in. denen sich die Schüler von allem Angelernten freimachen sollten, um die Materialien und Formen neu erfahren zu können. Da Itten auch von 1920 bis 1922 den meisten Werkstätten vorstand, war er in jenen Jahren der heimliche Kopf des Bauhauses. Insofern ist es richtig, die Frühzeit der Kunsthochschule mit dem Wirken von Johannes Itten gleichzusetzen. So ist der zentrale Raum der Kunsthalle in erster Linie Ittens Werk und den Schülerarbeiten gewidmet. Itten wollte im Kunstwerk „Geistwerk und Handwerk“ zu einer Einheit bringen. Seine grandiosen Farbkompositionen können als Zeugnisse solchen Schaffens verstanden werden. Aber an den Schülerarbeiten aus der Frühzeit sieht man auch, daß expressionistische, naiv-figürliche und konstruktivistische Tendenzen sich nebeneinander behaupteten.

Johannes Itten wollte die schöpferischen Kräfte zugunsten der freien Gestaltung, der Kunst, aktivieren. Der Architekt Walter Gropius jedoch hatte als Bauhaus-Gründer das Vorbild der gotischen Bauhütte im Sinn. Er zielte auf das sich im Bauwerk vollendende Gesamtkunstwerk, sah die Kunst also als Dienerin der Gestaltung. Der Konflikt zwischen den beiden prägenden Gestalten war unausweichlich. Ein anderer Konflikt war jedoch viel tiefgreifender: Schon vom Gründungsjahr an kämpften rechtskonservative Kreise in Weimar gegen das Bauhaus mit seiner internationalen Besetzung. Als dann 1924 die Konservativen im Thüringer Landtag die Mehrheit errangen, drehten sie dem Bauhaus den Geldhahn zu. Die avantgardistische Kunstschule mußte 1925 in Dessau Zuflucht suchen. Dieses dunkle Kapitel dokumentiert der Katalog ausführlich; der nur auf Bilder fixierte Besucher kann es leicht übersehen.

10. 9. 1994

Schreibe einen Kommentar