Das hohe Lied der Leidenschaften

Das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig zählt zu ältesten öffentlichen Museen in Europa. Dieses Jahr feiert es sein 250-jähriges Bestehen. Das schönste Geburtstagsgeschenk hat es sich und seinen Besuchern mit der Ausstellung „Peter Paul Rubens – Barocke Leidenschaften“ gemacht. Die seit fünf Jahren vorbereitete Ausstellung mit ihren über 90 Gemälden, Zeichnungen und Grafiken ist herausragend, weil sie Werke aus ganz Europa vereinigt. Zum Ereignis aber wird sie durch ihren thematischen Schwerpunkt „Barocke Leidenschaften“, mit dem sie genau den Nerv des Schaffens von Rubens trifft. Und schließlich gewinnt die Schau durch eine Reihe von Zeichnungen und Ölstudien, die mehr als die imposanten Gemälde die malerische Kraft und Einzigartigkeit des Antwerpener Künstlers dokumentieren. Dank solcher Bilder wie „Die Vision des Aeneas“ oder „Der Tunis-Feldzug Karls V.“ ermöglicht sie den Blick in die Arbeitsweise des Malers.

Der Malerfürst Peter Paul Rubens (1577-1640) ist eine Ausnahmeerscheinung in der Kunst. Er stammte aus einer angesehenen Familie und verstand es, seinen gesellschaftlichen Rang zu erhöhen und sein Vermögen zu vermehren. Immer war er Künstler und Diplomat zugleich. Und seine Werkstatt betrieb er so erfolgreich, dass er namhafte Maler beschäftigen konnte und sich bei der Komposition der großen Gemälde auf den Entwurf und die Schlusskorrektur beschränkte. Daher sind seine Zeichnungen und rasch hingeworfenen Studien so wichtig. Die Ausstellung wirkt hoch konzentriert und ist in den unteren Räumen, in denen aus thematischen Gründen Gemälde und grafische Blätter vereint sind, gedrängt, fast beengt.

Doch die Auswahl besticht: Rubens wird als ein Künstler vorgestellt, dem es gelingt, eine Geschichte auf den Punkt zu verkürzen, an dem der Verlauf und die Konflikte spürbar werden und die Gefühle hervorbrechen. So begegnet man hochdramatischen Kompositionen: Judith hält das abgeschlagene Haupt des Holofernes in der Hand: ihre roten Wangen und ihre entblößte Brust aber bezeugen, dass ihr die Tat nur gelang, weil sie zuvor als Verführerin auftrat. Oder: Die schöne Pero rettet ihren gefangenen Vater vor dem Hungertod, indem sie ihm ihre Brust zum Trinken gibt. In dieser als Caritas, Fürsorge, gepriesenen Tat schwingt in der Darstellung von Rubens das Motiv der verbotenen sexuellen Beziehung zwischen Vater und Tochter mit: Aus Scham wendet Pero ihren Kopf ab. Der Katalog (Hirmer Verlag, 352 S., 27 Euro) unterstützt auf ausgezeichnete Weise das Ausstellungskonzept.

Zu jedem Werk arbeitet er die Zuspitzung der Gefühle heraus. Vor allem an den 13
großformatigen Gemälden, die im 1. Stock zu einem Theater der Leidenschaften vereinigt sind, kann man auch die Qualitätsunterschiede ablesen: Das riesige Gemälde „Götterrat“ erscheint wie eine flache Werkstattarbeit. Hingegen zählt das Kasseler Bild „Venus, Armor, Bacchus und Ceres“ zu den Glanzlichtern der Schau. Zwei Gemälde stellen Rubens als einen Maler vor, wie man ihn kaum kennt: Das ..Haupt der Medusa“ (gemeinsam mit Frans Snyders geschaffen) lässt ihn als einen Parteigänger der Manieristen erscheinen. Und der Kopf des sterbenden Seneca wirkt, fast fotorealistisch.

12. 8. 2004

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