Es ist ein Kuriosum: Peter Paul Rubens (1577 – 1640), einer der produktivsten und erfolgreichsten Barockmaler, wurde in diesem Jahr mit Ausstellungen so vielfältig gefeiert, als hätte er einen runden Geburtstag oder Todestag gehabt. Aber einen solchen Anlass gab es nicht. Manchmal ergibt es sich eben so, dass gleichzeitig mehrere Museen am selben Thema arbeiten.
Auch die Staatlichen Museen in Kassel hatten aus Anlass der Rückkehr des Gemeinschaftsbildes „Pan & Syrinx'“ von Rubens und Brueghel eine kleine Rubens-Ausstellung arrangiert. In der Kasseler Schau ging es um zwei Aspekte – um die Erfindung und Variation einer Bildidee sowie um die Zusammenarbeit zweier Künstler. Rubens hatte sich bei solchen Kooperationen auf die Figuren konzentriert, während ein Maler wie Jan Brueghel die Landschaft beisteuerte. Für eine beachtliche Ausstellung hatte das Braunschweiger Landesmuseum gesorgt. Dort hatte man die Gemälde und Zeichnungen zusammengetragen, die belegten, wie sehr sich der flämische Meister der Darstellung von Bewegung und Leidenschaften verschrieben hatte. Zu den Vorzügen der Braunschweiger Schau gehörte, dass sie mit zahlreichen Zeichnungen und Studien aufwarten konnte. Da Rubens Mitarbeiter und Kollegen zur Fertigstellung seiner Gemälde heranzog, gewinnen die Zeichnungen und Ölstudien einen höheren Stellenwert, weil sie die originale Handschrift und den unmittelbaren Entwurfoffenbaren.
In diesem Sinne ist die große Rubens-Ausstellung in der Wiener Albertina noch näher an dem Künstler dran. Denn das Zentrum der Ausstellung in der Albertina, die über einen unvergleichlichen Bestand an Zeichnungen und Grafiken verfügt, bilden die großartigen Zeichnungen und Studien von Rubens. Es ist so, als könne man dem Künstler über die Schulter gucken, denn wie bei dem Gemälde „Daniel in der Löwengrube“ sieht man in Ergänzung zu dem Hauptwerk einzelne Studien, die, wie die Darstellung des flehenden Daniels, noch inniger wirken.
Von der Wiener Ausstellung gibt es einen direkten Bezug zu der Kasseler Gemäldegalerie. Denn die wunderbare Zeichnung, die Rubens von seinem Sohn Nicolaas anfertigte, die seit vielen Jahren nicht mehr zu sehen war, und die nun das Plakat und den Katalog schmückt, diente dem Maler als eine der Vorlagen für sein Kasseler Bild „Maria mit Jesus und Johannes, von reuigen Sündern und Heiligen verehrt“. Rubens übernahm nämlich den Kopf seines Sohnes in der gleichen Haltung und mit dem nach unten gerichteten Blick in sein Gemälde. Der einjährige Rubens-Sohn wurde zum Jesus-Knaben.
21. 11. 2004