Auf der Suche nach dem Menschenbild

Als Arnold Bode und Werner Haftmann 1955 das Konzept der ersten documenta
umsetzten, hatten sie die Biennale von Venedig als Vor- und Gegenbild im Sinn.
Da die Biennale im Zwei-Jahres- und die documenta im Fünf-Jahres-Rhythmus stattfinden,
ist alle zehn Jahre ein direkter Vergleich zwischen beiden Groß-Ausstellungen möglich. Der fiel in der Vergangenheit durchweg zu Gunsten der Kasseler documenta aus. Das gilt für dieses Jahr nicht unbedingt – nicht, weil die documenta schwächer ausgefallen wäre, sondern weil im Vergleich zu den Vorgänger-Ausstellungen die diesjährige Biennale an Kraft und Profil gewonnen hat. Zu verdanken hat sie das auch ihrer Größe: Den Kern bilden die Pavillons der weit über 50 Nationen-Beiträge. Dazu kommen die Zentralausstellung in den Giardini sowie die Schau im Arsenale und etliche Zusatzausstellungen
im Stadtraum. Es ist eine unüberschaubare Vielfalt, in der es viele Entdeckungen zu machen gibt.

Die Biennale ist – in Teilen – hochpolitisch und greift in zahlreichen Beiträgen das documenta-
Leitmotiv „Was ist das bloße Leben?“ auf. Die Künstler der Welt sind, diesen Eindruck vermittelt die Biennale. Sie stellen sich den Grundfragen und finden ästhetische Antworten.
Auch Isa Genzken setzt sich im Deutschen Pavillon mit diesen Fragen auseinander.
Die Künstlerin, die früher mit ihren filigranen Farbskulpturen faszinierte,
hat sich in Venedig übernommen. Die vielen, bis ins Surreale reichenden Einfälle bekam
sie nicht in den Griff. Gleiches gilt für den benachbarten Kanadischen Pavillon,
in dem David Altmejd ein surrealistisches Endzeit-Szenario geschaffen hat.

Umso überzeugender wirkt der Beitrag Venezuelas mit den grandiosen Fotos von Antonio
Briceno, der den indianischen Ureinwohnern Amerikas vor großartigen Landschaften
ein Denkmal setzt. Die Frage nach dem Menschen kann auch ganz individuell und makaber-ironisch behandelt
werden, wie Marko Mäetamm (Estland) demonstriert: In spielerischen Installationen,
Texten und Zeichentrickfilmen zeigt er, wie er zwischen Geldverdienen und Familienleben
aufgerieben wird und kaum noch zur künstlerischen Arbeit kommt. Und obwohl
der Titel der Arbeit „I Love my Family“ zutrifft, sinnt er blutsrünstig darüber nach, wie er die Familie
loswerden kann.

Den überzeugendsten Nationen-Pavillon gestaltete Sophie Calle (Frankreich), die
mit ihrer vielschichtigen Fotoarbeit (lesende Frauen) eine doppelbödige Bild- und Textanalyse
vornimmt. Gleich nebenan lockt der skandinavische Beitrag, den René Block, bis 2006 Leiter der Kunsthalle
in Kassel, zusammenstellte. Heiterer und provozierender Blickfang sind drei Toilettenhäuser,
die Lars Ramberg in Freiheitsstatuen umwandelte.

Müsste die Zentralausstellung im Italienischen Pavillon mit bemerkenswerten Arbeiten
wie von Sigmar Polke, Louise Bourgeois, Gerhard Richter und Ellsworth Kelly die Hauptlast tragen, ginge
das Konzept kaum auf. Zum Glück aber eröffnet sich im Arsenale eine lebendige Fülle ästhetisch gelungener Arbeiten zur Auseinandersetzung mit unserer Welt. Nur schade, dass der lange Hallenbau so musealisiert wurde.
25. 7. 2007

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