Wenn die Schwermut gefällt

Eine großartige Versammlung von Bildern, ein wunderbarer Spaziergang durch die Kultur- und Kunstgeschichte
von der Antike bis zur Gegenwart. Hervorragende Meisterwerke sind zu sehen, und immer wieder neu
wird man hineingezogen in die Gefühlswelten zwischen ichbezogener Versunkenheit, Weltschmerz, Sehnsucht und
Lust am Untergang.

Dieses Lob vorweg für das ehrgeizige Unternehmen der Neuen Nationalgalerie Berlin, das zuvor in etwas anderer Form in Paris zu sehen war. Allerdings sind die selbst gestellten Ansprüche leicht überzogen und werden nicht immer erfüllt. Das Terrain, auf das sich die Ausstellung begibt, ist schwierig,
weil sie das, was sie untersuchen will, nämlich die Melancholie als ein Motor und Leitmotiv
der Kunst, nur illustrieren kann.

Die äußerst komplexe Untersuchung findet in den vielfältigen Beiträgen zu dem
Katalog (Verlag Hatje Cantz, 512 S., 45 Euro) statt. Vor allem in dem Bereich, in dem die
Schau zeigen will, wie das Melancholische das Geniale begleitet und wie die Grenzüberschreitung
zum Wahnsinn erahnbar wird, ist sie schwach. Da bleibt sie deutlich hinter der Ausstellung
„Open mind“ zurück, in der Jan Hoet 1989 in Gent auf sehr anschauliche Weise den Zusammenhang
von Kunst, Psychiatrie und Bildnerei von Geisteskrankheiten aufzeigte.

Im Zentrum der Berliner Ausstellung steht Albrecht Dürers Kupferstich „Melencolia I“ von 1514, dessen Interpretation durch Peter-Klaus Schuster klar macht, wie genial dieses Blatt ist. Es vereinigt den Widerspruch von Chaos und Ordnung, von Selbstverlorenheit und produktivem Denken. Darin wird die Vieldeutigkeit der Melancholie sichtbar. Über weite Strecken erschöpft sich die Bestandsaufnahme der Ausstellung darin, das bei Dürer anklingende Grundmotiv von der sinnenden Figur, die mit der Hand ihren Kopf stützt, durch die Kunstgeschichte hindurch zu verfolgen. Natürlich ist es interessant zu sehen, dass fast jeder große Künstler dieses Thema aufnahm. Doch irgendwann kann man den gestützten Kopf nicht mehr sehen.Das Motiv wird einfach überstrapaziert.

Zu den spannendsten Abteilungen gehören die Bilder und Objekte der Barockzeit, in denen sich die melancholische Stimmung mit dem Denken an die Sterblichkeit verbindet. Einen weiteren Höhepunkt
bilden die Sehnsuchtsmotive der Romantik (Caspar David Friedrich) sowie die düster-visionären
Werke von Füssli, Böcklin und Munch.
18. 2. 2006

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