Blick in Dürers Grafikwerkstatt

80 Grafiken von Albrecht Dürer (1471 – 1528) vereint eine Ausstellung der Dr. Otto-Schäfer-Stiftung, die im Schloß von Bad Arolsen gezeigt wird.
Mit dem Namen Albrecht Dürer verbindet sich die Vorstellung vom Beginn eigenständiger deutscher Kunst sowie ihrer ersten Vollendung. Ob Malerei, Aquarell, Zeichnung oder Druckgrafik – auf allen Gebieten entfaltete der Nürnberger Künstler, dessen Ruhm schon zu seinen Lebzeiten bis nach Italien gedrungen war, höchste Meisterschaft.

Alle späteren Generationen mußten sich, wenn sie Holzschnitte und Kupferstiche schufen, an Dürer messen lassen, denn er hatte aus beiden Techniken eigenständige Bildformen entwickelt. In seinem Leben soll Albrecht Dürer rund 350 Holzschnitte und über 100 Kupferstiche angefertigt haben. 80 dieser 450 Drucke sind jetzt im Schloß von Bad Arolsen zu sehen. Sie stammen aus der umfangreichen Sammlung der Schweinfurter Dr. Otto-Schäfer-Stiftung. Nachdem die Stiftung eine Grafikausstellung „Dürer als Erzähler“ mit Erfolg auf den Weg gebracht hatte, steht die jetzige Auswahl unter dem Titel „Die Kunst aus der Natur zu reyssen“.

Der Blick der Besucher soll vornehmlich auf Dürers Verhältnis zur Natur und auf sein Weltverständnis gelenkt werden. Das didaktische Konzept der Ausstellung mit seiner Kombination aus originalen Bildern und Texten fördert diese analytische Betrachtungsweise. Ebenso trägt der Katalog dazu bei, in dem man zu jeder‘ Grafik einen ausführlichen Text findet. Albrecht Dürer gilt als der deutsche Künstler, der dem Landschaftsbild zur Eigenständigkeit verhalf. Auch wird er aufgrund seiner Tierdarstellungen oder seiner Komposition, die nicht mehr als ein Wiesenstück zeigt, als ein Künstler gefeiert, der aufs Feinste die Natur studiert habe. Die Ausstellung jedoch verdeutlicht, daß Dürers Verhältnis zur Natur gebrochen und auch opportunistisch war.

Dominierend ist in allen Kompositionen der Gestaltungswille. Ihm hatte sich das Naturverständnis unterzuordnen. Dürer zitierte in den Holzschnitten und Kupferstichen Naturformen, gestaltete aber nach inhaltlichen Vorgaben. So sind seine zur Apokalypse geschaffenen Blätter voller Dramatik: Vielfigurige Darstellungen sind in Kunstlandschaften eingebettet, die von stilisierten Flammen, Wolkengebirgen, Engeln und Ungeheuern beherrscht sind. Bei aller Modernität ging Dürer in den frühen und mittleren Jahren immer noch von einem geschlossenen Weltbild aus das alle Erscheinungen zu einem Ganzen zusammenfügte.

Erst in seinem Spätwerk wandte sich Dürer intensiv der Auseinandersetzung mit der Natur und vor allem mit Licht und Schatten zu. Das Blatt „Hl. Hieronymus im Gehäus“ (1514) wird mit seiner Lichtführung zum Schlüsselwerk eines neuen Sehens. Die Arolser Ausstellung ermöglicht etwas, was nur selten geboten wird – einen breiten Einblick in Dürers grafische Werkstatt. Der Zufall will, daß zeitgleich die Grafische Sammlung der Staatlichen Museen Kassel in der Museumsbibliothek in Schloß Wilhelmshöhe bis Ende Juli 20 Kupferstiche Dürers zur Einsicht bereithält.
25. 6. 1998

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