Wind aus westlichen Richtungen

Mit einer Silvesterparty wird in Weimar das „Neue Museum“ eröffnet, das als erstes in den neuen Ländern nur zeitgenössische Kunst beherbergt. Den Kernbestand bildet die Sammlung Maenz.

Offiziell wird das Kulturstadtjahr in Weimar erst am 19. Februar eröffnet. Die Klassikerstadt braucht auch noch Zeit zum Herausputzen; schließlich sind der Bahnhof sowie andere zentrale Gebäude und Plätze noch Baustellen. Und doch gibt es schon heute abend eine große Feier: Mit einer Silvesterparty wird das frühere Landesmuseum, das fast 50 Jahre als Ruine mahnte, als ein Haus für die zeitgenössische Kunst unter dem Namen „Neues Museum“ eröffnet.

Ermöglicht wurde diese für die neuen Bundesländer einmalige Museumsneugründung durch den früheren Kölner Galeristen Paul Maenz, der seine rund 300 Werke umfassende und mit einem Wert von 20 Millionen Mark bezifferte Sammlung internationaler Kunst seit den 60er Jahren den Kunstsammlungen in Weimar übergab – ein Viertel als Geschenk, die Hälfte als Leihgabe (eventuell als Basis für eine Stiftung), und ein Viertel wurde angekauft. Für den Wiederaufbau des von Josef Zitek entworfenen Museums wandten der Bund und das Land Thüringen 23 Millionen Mark auf.

Daß diese Einweihung das inoffizielle Startsignal für Weimars Zeit als europäische Kulturstadt bildet, hat in mehrfacher Hinsicht Symbolkraft: Die Klassikerstadt, so lautet die Botschaft, hat mehr zu bieten als die Beschwörung der Vergangenheit. Außerdem wird der Neuanfang eben mit jener zeitgenössischen Kunst gemacht, die für Weimar immer noch Neuland bedeutet.

Es ist der dritte Versuch, der Kunst der Moderne in Weimar ein Forum zu geben. Den ersten hatte zu Beginn dieses Jahrhunderts Harry Graf Kessler unternommen, der im Großherzoglichen Kunstgewerbemuseum Zeitgenössisches sammelte, aber gehen mußte, als Auguste Rodin Aktzeichnungen zum Geschenk machte, die Kritiker als pornographisch empfanden. Kräftiger und vielversprechender waren zu Beginn der 20er Jahre die Bemühungen, im Dialog mit der in Weimar gegründeten avantgardistischen Kunstschule Bauhaus Werke der maßgeblichen Künstler (Klee, Feininger, Munch, Kollwitz) auszustellen. Doch 1925 vertrieben die Rechtskonservativen das Bauhaus, und fünf Jahre später startete die nationalsozialistische Regierung von Thüringen eine Aktion, die Vorbild wurde für die Kampagne „Entartete Kunst“.

Die Museumsneugründung ist also eine Wiedergutmachung an der Moderne. Sie ist durch das Entgegenkommen des früheren Galeristen Paul Maenz ein Glücksfall; sie ist aber auch mit all den Problemen belastet, die sich stellen, wenn sich ein Museum weitgehend auf die Zusammenarbeit mit einem Sammler verläßt.
Schöne Rundgänge Das, was Maenz in über 30 Jahren zusammengetragen hat, kann sich international sehen lassen. Es sind auch auf den zwei Etagen schöne Rundgänge entstanden, bei denen die Räume, in denen Werkgruppen nur eines Künstlers gezeigt werden (Anselm Kiefer, Giulio Paolini, Keith Haring) die eindeutigen Höhepunkte sind. Auch gewinnt die Sammlung dadurch an Spannung, daß es in der Kunstwahrnehmung von Paul Maenz um 1980 einen Bruch gab und er nach der Konzeptkunst und Minimal-art nun die wilde Malerei für sich entdeckte.

Aber das, was in Weimar versammelt ist, wird in vielen großen Museen gezeigt und bleibt auf diese Weise ortlos. Der Wunsch von Museumsdirektor Rolf Bothe, die zeitgenössische Kunst in Weimar heimisch zu machen, wird wohl nur dann in Erfüllung gehen, wenn sie besser verankert wird – etwa in Kooperation mit den künstlerischen Kräften der dortigen Hochschule. Die Eröffnungsausstellung trägt den Titel „Auffrischender Wind aus wechselnden Richtungen“. Nicht zufällig unterlief Bothe der Versprecher „Wind aus westlichen Richtungen“. Hier wird Westkunst pur gezeigt. Die Ostkunst bleibt vorerst ausgespart – leider.

31. 12. 1998

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