Vor vier Jahren erschien der Dokumentationsband Der deutsche Pavillon (Ein Jahrhundert nationaler Repräsentation auf der Internationalen Kunstausstellung La Biennale di Venezia), hrsg. von Ja May und Sabine Meine (Schnell und Steiner). Das Buch zeigte die vielfältigen Wechselbeziehungen deutscher Kunst in Venedig sowie das ewige Leiden der Deutschen an ihrer Geschichte auf.
Direkter Anlass, sich mit diesem Kapitel Ausstellungsgeschichte näher zu beschäftigen, ist die Berufung der Leiterin der Kunsthalle Fridericianum in Kassel, Susanne Pfeffer, zur Kuratorin des deutschen Pavillons im Jahre 2017.
Mit dieser Berufung wird die erfolgreiche Arbeit von Susanne Pfeffer in Kassel national und international bescheinigt. Ihre Ausstellungen im Fridericianum fanden bundesweit Anerkennung. Und ihre Schau „inhuman“ wurde 2015 zur Ausstellung des Jahres gewählt.
In Venedig und in den Giardini kennt sich Susanne Pfeffer bestens aus. Innerhalb der vorigen Biennale (2015) war Susanne Pfeffer gebeten worden, den Schweizer Pavillon, in dem die Künstlerin Pamela Rosenkranz ausstellte, zu kuratieren. Noch intensivere Erfahrungen mit der Biennale hatte sie breits 2001 gesammelt, nach dem sie sich von ihrem Studienort Rom aus spontan bei Udo Kittelmann beworben hatte, der zum Kommissar für den deutschen Pavillon bestimmt worden war. Kittelmann nahm sie als Assistentin für Venedig an. Eingeladen worden war der Künstler Gregor Schneider, der in den umstrittenen deutschen Pavillon sein biederes Wohnhaus (Totes Haus u r) einbaute. Dieser Versuch, das vom faschistischen Geist geprägte Gebäude auf die miefig-kleinbürgerliche Wohnkultur schrumpfen zu lassen, war für Susanne Pfeffer ein grandioses Übungsfeld. Sie wurde gezwungen, sich mit dem Geist der Architektur auseinanderzusetzen und hatte gleichzeitig die Chance, ein einmaliges Kunstexperiment bis zur letzten Konsequenz zu realisieren. Die Tatsache, dass Susanne Pfeffer 2001 an der wahnwitzigen Umkehrung des Pavillons teilnehmen konnte, gibt ihr nun für 2017 jegliche Freiheit. Sie kann sich mit ihrer Auswahl auf die Widersprüche der Architektur einlassen, muss sie aber nicht, weil sie es schon 2001 mitgemacht hat.
Die 1895 gegründete Biennale von Venedig ist die älteste regelmäßige internationale Kunstausstellung der Welt. Sie entstand vor dem Hintergrund, dass gerade erst Länder wie Italien und Deutschland sich als eigenständige Nationen formiert hatten und ihr neues Selbstverständnis propagieren wollten. Nach dem Beispiel der Weltausstellungen wollte man in einen internationalen Wettstreit treten. Die Kunststadt Venedig fühlte sich zur Führerschaft berufen. Sie warb regelrecht um die Teilnahme anderer Länder.
In dem Ausstellungsgebäude in den Giardini, das meist die Italiener dominierten, waren einzelne Länder mit eigenen Räumen vertreten, doch die Biennale-Verantwortlichen wollten die Länder dafür gewinnen, eigene Pavillons auf dem Gelände zu erbauen. Die ersten, die darauf reagierten, waren die Belgier. Sie konnten bereits 1907 in ihren eigenen Pavillon einladen.
Doch insgesamt verlief die Internationalisierung der Biennale schleppend. Und so war es nicht das Deutsche Reich, das 1909 einen eigenen Pavillon errichtete, sondern das Land Bayern. Zum einen hatten der Kaiser und die deusche Regierung kein großes Interesse an einer Teilnahme, zum anderen hatten die Biennale und die Münchner Sezession sehr gute Beziehungen. So kam es, dass zwei Mal die Münchner Sezession den bayrischen Pavillon, als griechischer Tempel mit ionischen Säulen erbaut, bespielte. Nicht minder kurios war, dass 1909 ein ungarischer Pavillon erbaut wurde, obwohl Ungarn zu der Zeit noch als ein Glied der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn verstanden wurde.
Danach wurden in schneller Folge weitere Länder-Pavillons errichtet: Großbritannien (1909), Frankreich (1912), Holland (1912), Russland (1914). Zur gleichen Zeit wuchs das deutsche Interesse an der Biennale von Venedig, während sich die Münchner Sezession nach zweimaliger Teilnahme zurückzog. So wurde der deutsche Beitrag zur Biennale 1912 zwar von der dortigen Ausstellungsleitung kuratiert, aber der Pavillon stand nun unter dem Länder-Namen Germania.
Die Pavillons von Deuschland (vormals Bayern), Großbritannien und Frankreich stehen auf einem kleinen Hügel, der, da es sich um Großmächte handelte, „imperial hill“ genannt wurde. In dem Hügel verbirgt sich ein Stück venezianischer Geschichte: Auf dem Gelände hatten Kirchen und Klöster gestanden, die unter Napoleon zerstört wurden. Der Hügel entstand also durch die Aufhäufung des Bauschutts.
Die frühen Biennalen wurden übrigens gut aufgenommen. Sie konnten bis zu 450000 Besucher anlocken.
Der Erste Weltkrieg trug dazu bei, dass die Biennalen 1916 und 1918 ausfielen. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Verliererland Deutschland erst einmal nicht dabei: Die Biennale-Leitung übertrug die Nutzung des Pavillons an Polen, das ja zuvor keine Möglichkeit gehabt hatte, die Werke polnischer Künstler auszustellen. Der Plan, den Pavillon ganz an Polen zu verkaufen, wurde aber nicht realisiert.
Als dann 1922 Deutschland wieder in den Kreis der ausstellenden Länder aufgenommen worden war, ging die Zuständigkeit an das Referat für Bildende Kunst innerhalb der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes. Bis heute ist das Auswärtige Amt für die Präsentation in Venedig verantwortlich. So kam vor einigen Wochen Außenminister Steinmeier nach Kassel, um Susanne Pfeffer zu der Nominierung für Venedig persönlich zu beglückwünschen.
Der Kommissar für den deutschen Pavillon 1922 war Hans Posse , der auf Empfehlung von Wilhelm von Bode 1910 zum Direktor der Gemäldegalerie in Dresden ernannt worden war. Posse brillierte mit einer Ausstellung, die sich ganz auf der Höhe der Zeit befand und bis heute als wegweisend einzustufen ist. Posse zeigte u. a. Werke von Liebermann, Slevogt, Corinth, Feininger, Heckel, Hofer, Kirchner, Kokoschka, Lehmbruck.
Nach Posse waren Franz v. Stuck, Richard Graul und Friedrich Dörnhöffer die deutschen Biennale-Kommissare, bevor Posse 1930 ein zweites Mal für den deutschen Pavillon zuständig wurde. Mittlerweile war er als Ausstellungsorganisator hoch angesehen, vor allem nach der Internationalen Kunstausstellung 1926 (Dresden). Die deutsche Biennale-Auswahl von 1930 wurde zur Krönung der Moderne: Zu sehen waren Werke von Klee, Feininger, Kandinsky, Ernst, Dix, Grosz, Kanoldt, Schlemmer, Baumeister, Hofer, Beckmann und anderen. Die Auswahl strahlte – bevor in den 30er Jahren die Moderne im Dunkel der totalitären Mächte unterging.
Eine Vorahnung, was die 30er Jahre bringen würden, vermittelte 1930 die italienische Presse, die schon vom Geist des Faschismus erfasst worden war. Die deutsche Kunst der Moderne wurde geschmäht, und ein Strandbild von Beckmann sollte aus dem Pavillon entfernt werden (Es wurde in der zweiten Auflage des Kataloges nicht mehr abgedruckt.) Auch in der rechtskonservativen deutschen Presse rief Posses Auswahl heftigste Kritik hervor. Die massive Kritik mag dazu beigetragen haben, dass sich Deutschland an der Biennale von 1932 nicht beteiligte. In der Hauptsache waren es finanzielle Gründe, die Deutschland an einer Beteiligung hinderten. Der Pavillon blieb allerdings nicht leer: Österreich nutzte den Ausstellungsraum.
Posses weiterer Lebensweg ist insofern interessant, als der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie ab 1930 in der Schusslinie nationaler Kräfte geriet und 1938 in die Frühpension geschickt wurde. Umso überraschender für seine Kritiker war, dass er wenige Monate später nach einem persönlichen Gespräch mit Hitler wieder in sein Amt eingesetzt wurde. Der Mann, der die deutsche Moderne aufs Beste in Venedig präsentiert hatte, musste in den Folgejahren seine Ansichten total gewandelt haben. Jedenfalls wurde er nach dem Hitler-Besuch beauftragt, das in Linz geplante Führermuseum aufzubauen.
1934 war das Deutsche Reich wieder dabei, und Hitler stattete dem Pavillon mit großem Gefolge einen Besuch ab. Der Führer fand den deutschen Ausstellungsbau zu klein und nicht repräsentativ genug. Vier Jahre später wurde der Pavillon so umgebaut, dass er ganz dem Geschmack und Größenwahn der Nationalsozialisten entsprach. Für die Künstlerauswahl war 1934 und 1936 der Kunsthistoriker Eberhard Hanfstaengl zuständig, der die Wunschvorstellungen der Nazis umzusetzen versuchte und gleichzeitig einzelne Künstler auswählte, die mit für die Moderne standen. Seine Arbeit als Direktor der Berliner Nationalgalerie und für die Biennale bot den Kritikern keine Angriffsflächen. So konnte in der ersten Nachkriegsdekade (1948 bis 1958) Hanfstaengl wieder als Kommissar für den deutschen Pavillon tätig sein.
1948 allerdings handelte er nicht in offizieller Mission. Hanfstaengl war nach dem Zweiten Weltkrieg Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen geworden. In dieser Funktion wurde er 1948 von der Biennale-Leitung um Leihgaben der Impressionisten gebeten. Hanfstaengl sagte zu und erbat im Gegenzug, eine Auswahl deutscher Werke im deutschen Pavillon zeigen zu können. So wurde auf Umwegen die deutsche Teilnahme erreicht.
Danach jedoch wurde er fünf mal zum Kommissar berufen. Sein Ausstellungsprogramm fand viel Anerkennung. Er zeigte den Blauen Reiter und Ernst Barlach, die Brücke-Künstler, Klee und Schlemmer, Nolde und Kandinsky, Hartung, Nay, Sonderborg und Heiliger.
Aber gleichzeitig wuchs die Unzufriedenheit mit dem Gebäude. So gab es Überlegungen, Mies van der Rohe mit einem Neubau zu beauftragen.
Nach dem Erfolg mit seiner ersten documenta meldete sich Arnold Bode zu Wort und schlug einen Umbau des Pavillons vor. Bode wollte die Eingangssituation total ändern – nämlich die Säumen zumauern und den Eingang auf die Seite verlegen. Außerdem wollte er die unmenschliche Raumhöhe mit ihrer hohlen Pathosgeste dadurch überwinden, dass er ein Zwischengeschoss einfügte und neue Treppen und Fenster schaffen wollte. Der späte Geist des Bauhauses sollte über den Nazi-Bau triumphieren. Die Baukosten bezifferte Bode mit 250 000 Mark – ein wahrlich stolzer Preis. Doch die Bonner Behörden reagierten nicht und erteilten dem Bode-Plan Ende 1963 endgültig eine Absage.
Baselitz und Kiefer
Hans Haacke
Gregor Schneider
Chrisoph Schlingensief
Seit den 70er Jahren begannen Künstler, auf die bauliche Hülle zu reagieren. Der erste war Gerhard Richter, der dem Pathos des Pavillons nun eine pathetische Inszenierung entgegensetzte: In strenger Reihung präsentierte er 48 gleichformatige Porträts und schuf damit so etwas wie eine Ruhmeshalle. Vier Jahre später installierte Joseph Beuys im Pavillon seine Arbeit „Straßenbahnhaltetelle“, wobei er den Boden durchstieß und so das Gebäude zu der Lagune und zu dem napoleonischen Schuttberg öffnete.
In dieser Installation eine kritische Auseinandersetzung mit der Architektur zu sehen, ist sicher richtig, erschloss sich aber nicht allen Besuchern. Vier Jahre später jedoch war die Auseinandersetzung mit dem faschistischen Geist unübersehbar. Klaus Gallwitz hatte Georg Baselitzt, Anselm Kiefer und Markus Lüpertz zur Biennale 1980 in den Pavillon eingeladen. Lüpertz entzog sich, weil er den Pavillon ganz oder gar nicht wollte. So blieb für Kiefer reichlich Platz, um seine Bildern zur deutschen Geistes- und Mythengeschichte zu zeigen. Zu der Zeit verstanden viele nicht Kiefers Werk und taten dementsprechend den deutschen Biennale-Beitrag ab.
Den Hauptraum erhielt Georg Baselitz. Der Künstler, der mit seinen Kopf stehenden Bildern Furore gemacht hatte, zeigte nun allein eine einzige (und bislang erste) Skulptur. Dabei ließ Baselitz offen, ob er eine nicht ganz fertige Arbeit zeigte. In der Mitte des Saales stand/saß aus roh zugeschnittenem Holz die Figur eines Mannes, dessen leicht angewinkelte Beine sich in einem unbearbeiteten Klotz verbargen (allein einige Striche schwarzer Farbe deuteten die Beine an). Bauch, Oberkörper und Kopf waren herausgearbeitet und – die ausgestreckte rechte Hand. Diese Anspielung auf den Hitlergruß war mehr als nur die Erinnerung an die Mächte, die dieses Haus geprägt hatten.
Den radikalsten Schritt tat 1993 Hans Haacke, der Boden des Pavillons aufhacken ließ und den Innenraum als eine unpassierbare Trümmerlandschaft unter dem Namen Germania präsentierte. In den Eingang hatte Haacke auf dunkelrotem Grund die Reproduktion eines Fotos von Hitler beim Biennale-Besuch gehängt und über das Portal als neues Symbol die Vergrößerung eines Mark-Stückes angebracht.
1997 baute Gerhard Merz in den Pavillon einen riesigen weißen Kubus, der mit seiner Pathos-Geste den Bau übertrumpfen wollte. Und 2001 nun, als Susanne Pfeffer Assistentin von Udo Kittelmann war, nahm Gregor Schneider mit seinem eingebauten biederen Wohnhaus die Luft zum Atmen. Grandios war die Eingangssituation: Aus dem Portal wurde eine kleine Haustür mit Briefkastenschlitzen.
Zehn Jahre später verwandelte Isa Genzken (äußerlich) den Pavillon in eine eingerüstete Baustelle. Und als 2011 Christoph Schlingensief Deutschland in Venedig vertreten sollte, mussten seine Witwe und die deutsche Kommissarin Susanne Gaensheimer setzten Schlingensiefs Konzept umsetzen, weil der Aktionskünstler vorher gestorben war. Sie verwandelten den Pavillon in einen überdekorierten Kirchenraum.
Zwei Mal, 1920 und 1932, war der deutsche Pavillon von anderen Nationen besetzt worden – von Polen und Österreich. 2013 aber kam es zur Feier des deutsch-französischen Vertrages zum Ausstellungstausch: Die deutschen Beiträge (Ai Weiwei, Romuald Karmakar, Santu Mofokeng, Dayanita Singh) wurden im französischen Pavillon gezeigt (und entsprechend umgekehrt). Und unter dem Kommissar Florian Ebner wurden 2015 wieder Räume und Treppenhäuser eingebaut.
Als Ende des 19. Jahrhunderts die Biennale aus der Taufe gehoben wurde, war das Denken im Nationen-Wettbewerb, ähnlich wie bei den Weltausstellungen, nachvollziehbar. Auch schien der Glaube an nationale Eigenheiten der Kunst plausibel. Doch spätestens nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Kunst durch, die sich nicht mehr an nationale Schranken hielt. Gleichwohl hielt Venedig am Nationen-Prinzip fest. Erst im Gefolge der 68er-Jahre wurde das Biennale-Prinzip in Frage gestellt. Weder gelang es, wie von vielen gewollt, die zentrale Ausstellung und die Nationenschau auf ein Thema auszurichten, noch kam es zu einem ernsthaften Austausch mit den sogenannten Ländern der Dritten Welt. Doch nachdem immer mehr Länder erkannt hatten, dass sie sich im Stadtbereich Venedigs – außerhalb der Giardini – mit angemieteten Wohnungen und Häusern eigene „Paillons“ schaffen konnten, stieg die Bedeutung der Nationenbeiträge. Es wurde zum nationalen Prestige, in Venedig mit einem Länderbeitrag dabei zu sein. Zur gleichen Zeit intensivierte sich der Austausch der Sprache, Stile und Medien. Die inflationäre Biennalen-Entwicklung (heute gibt es weit mehr als 200 Biennalen) förderte diese Entwicklung. Und die Biennale-Besucher freuten sich, mit Hilfe der Länderbeiträge im Stadtgebiet auch neue Aspekte Venedigs kennen zu lernen, trug dazu bei, dass das Nationen-Prinzi im Arsenale und in der Stadt gegenüber. p nicgt mehr zur Debatte steht. Den 30 Länder-Pavillons in den Giardini stehen rund 60 Nationen-Beiträge