Die Neuerfindung der Wirklichkeit

Das Folkwang-Museum in Essen feiert den Maler Caspar David Friedrich mit einer Ausstellung

Der Titel der Ausstellung ist prokovativ: Die Erfindung der Romantik. Doch der Maler Caspar David Friedrich
(1774-1840) hat die Romantik nicht erfunden. Auch gibt es, wenn man den Autoren des ausgezeichneten Kataloges
folgt, nicht nur eine Romantik, sondern verschiedene romantische Strömungen. Trotzdem ist der aus
Greifswald stammende Friedrich als ein wirklicher Erfinder zu bezeichnen. In seinen Gemälden und Sepia-Zeichnungen hat er eine neue Wirklichkeit erfunden.

Dem ersten Anschein nach wirkt Friedrich wie ein Künstler, der sich der Unendlichkeit, Schönheit
und Bedrohung der Natur hingegeben und von ihr stimmungs- und sehnsuchtsvolle Abbilder geschaffen hat. In
Wahrheit aber hat er, wie mehrere Autoren in dem Katalog nachweisen, seine Kompositionen nach strengen geometrischen Prinzipien angelegt. Sehr oft hat sich Friedrich für eine strenge Symmetrie
entschieden, oder er stellte Berggipfel, Tannen, Segelmasten und Kirchtürme in Beziehung.
Er hat also eine künstliche Welt, eine Art Ideallandschaft, entworfen, die er wie ein Fotomonteur mit
Natur- und Architekturdetails bestückte.

Wir glauben uns in dieser Welt mit ihren Sonnenauf- und
-untergängen und ihren im Vergleich zur Weite winzigen Figuren bestens auszukennen. Doch je tiefer wir in
sie eindringen und zu verstehen suchen, desto rätselhafter wird sie. Malte der fromme Pietist Friedrich Andachtsbilder, in denen er religiöse Anschauungen in die Landschaften übertrug? Etliche Gemälde wie das „Kreuz im Gebirge“ (Tetschener Altar) oder „Visionen von Kirchen(ruinen) im Wald“ legen das nahe.
Aber selbst solche Beobachtungen helfen nur begrenzt weiter, weil Friedrich neben dem Konstruktionsprinzip
und der Naturschöpfung auch historische Dimensionen im Blick hatte.

Caspar David Friedrich hatte zu seiner Zeit Beachtung gefunden und Widerspruch erregt. Dann allerdings wurde
er vergessen, bis er nach 1900 neu entdeckt wurde. Eine zweite Wiederentdeckung erfolgte 1974 im Zusammenhang
mit der legendären Friedrich-Ausstellung in Hamburg. Die Essener Ausstellung vereinigt nun erstmals wieder die malerischen und zeichnerischen Hauptwerke. Vor allem konnten dank des Sponsors Ruhrgas auch die reichen russischen Friedrich-Schätze nach Essen geholt werden. Dafür fehlen wichtige Berliner Bilder („Mönch am Meer“), die in der „Melancholie“-Ausstellung zu sehen sind. Trotzdem: So umfassend hat man Friedrichs
Werk lange nicht gesehen.

Man sollte sich von den Anregungen der Autoren leiten lassen und die Bilder nicht nur
bewundern, sondern studieren. Besonders schön und wichtig ist der Aspekt, dass Friedrich viele Werke als Bildpaare (Tag und Nacht, Sommer und Winter, Tod und Hoffnung) schuf. Ihnen sollte
die ganze Aufmerksamkeit gelten.

5. 5. 2006

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