Die Entdeckung der Wirklichkeit

Im Städel-Museum wird der Frankfurter Altmeister Adam Elsheimer gefeiert
Das größte Gemälde, das wir von dem Frankfurter Maler Adam Elsheimer (1578-1610) kennen,
ist ein Selbstporträt. Aus dem dunklen, nicht erkennbaren Raum leuchten das Halbprofil des Malers, sein Kragen und seine linke Hand hervor. Eine eindringliche Studie eines selbstbewussten Künstlers.
Doch wären die anderen Gemälde Elsheimers in ähnlicher Weise gestaltet, würde ihm das Frankfurter Städel-Museum kaum eine solche Ehrung zuteil werden lassen, wie sie die jetzt zusammengetragene Ausstellung darstellt.

Das Porträt fällt derart aus dem Rahmen, dass schon Zweifel laut wurden, ob Elsheimer es selbst gemalt habe.
Denn dessen Bilder sind in der Regel klein bis miniaturhaft. Die hier abgebildete Bildtafel „Tobias und der Engel“ erreicht gerade die Größe von 12,4 x 19,2 Zentimetern. Die kleinsten Bilder sind neun mal
sieben Zentimeter groß. Doch in diesen Miniaturen öffnen sich weit gestaffelte, tiefe Räume, die, je genauer
man sie studiert, monumentale Wirkung entfalten.

Elsheimer muss mit feinstem Pinsel und Lupe gearbeitet. Denn selbst im Hintergrund des Bildes „Tobias
und der Engel“ sind die Menschen und Tiere in ihrer Gestalt und Bewegung bis ins Feinste ausgemalt.
In dem vorzüglichen Katalog zur Ausstellung (Edition Minerva, 300 S., 29,90 Euro) dokumentieren
Ausschnittvergrößerungen aus den Miniaturen, welche Freude Elsheimer am Detail hatte. Die meisten Gemälde
sind biblischen und mythologischen Stoffen gewidmet. Doch oft scheinen die mythischen Gestalten nur anekdotische Einsprengsel in großartige Landschaftskompositionen zu sein. Elsheimer entdeckte die Wirklichkeit neu und ebnete den Weg zu einer realistischen Bildauffassung. Seine besondere Liebe galt
dem Licht. Dabei hatte er – wie 200 Jahre später die Romantiker – eine Vorliebe für raffinierte
Lichteffekte.

Ein Bild, in dem sich Wirklichkeitswahrnehmung und romantische Haltung mischten, ist die
1609 geschaffene „Flucht nach Ägypten“, in der der Mond und dessen Spiegelbild, die Fackel von Joseph und ein
Lagerfeuer die Lichtquellen bilden. Das Gemälde hat über die Kunstwissenschaft hinaus Ruhm erlangt, weil der Sternenhimmel von einer genauesten Naturbeobachtung zeugt. Dem Frankfurter Städel, das einige Hauptwerke des
Künstlers (wie den „Frankfurter Kreuzaltar“) besitzt, ist es gelungen, nahezu das gesamte malerische Werk von
Elsheimer an den Main zu holen. Auf diese Weise entstand eine der schönsten und besten Städel-Ausstellungen der letzten Jahre.

Ergänzt wird Elsheimers Werk durch Bilder einiger Zeitgenossen. Die lassen erkennen, wie Themen und
Kompositionsweisen weitergegeben und variiert wurden. Sie dienen aber vor allem dem Ruhm Elsheimers, der durch die Gegenüberstellungen noch herausragender erscheint.

21. 3. 2006

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