Wunderbare Vermehrung der Fenster

Neue Folge der Reihe „Blickwechsel“ in der Gemäldegalerie im Schloss Wilhelmshöhe

Die Idee, einzelne Kunstwerke aus zwei Museen zu einer thematischen oder stilistischen Gegenüberstellung
zusammenzubringen, ist lobenswert. Ohne großen Aufwand kann auf diese Weise das Auge geschärft werden.
„Blickwechsel“ nennt sich die Reihe, die die Staatlichen Museen und das Städel-Museum in Frankfurt gemeinsam gestalten. Die dritte Folge, die unter dem Titel „Lichtspiele – Raumgefüge“ steht, konfrontiert
zwei in Amsterdam um 1670-80 entstandene Innenansichten von Räumen. In beiden Bildern führt das Licht
Regie; und in beiden Fällen entwickelten die Maler tief gestaffelte Raumansichten.

Das aus Frankfurt kommende Gemälde „Interieur mit Maler, lesender Dame und kehrender Magd“, das Pieter
Janssens (Elinga) schuf, erinnert an die Atmosphäre der Bilder von Vermeer: Man blickt in einen verschatteten
Raum, der sein Licht durch Fenster empfängt. Eine Tür im Hintergrund öffnet den Durchblick zu einem weiteren
Raum, der heller ist und in dem ein Maler offenbar an der Staffelei steht.

Während bei Vermeer fast nie ein Blick durch die Fenster möglich ist, sieht man bei Janssens, dass das Haus in einer von Bäumen bestandenen Gegend steht. Die Wände sind reich mit Bildern geschmückt. In diesem Zusammenhang wirken die Fenster und der Spiegel über der lesenden Frau selbst wie Bilder. Durch
die Lichtfelder auf der Wand und den Böden verdoppeln sich anscheinend die Fenster. Das Licht hat Janssens so geführt, dass die Lesende mit ihrer weißen Haube zum Bildzentrum wird, obwohl sie hinten vor der Wand sitzt.

Noch raffinierter spielt Emanuel de Witte mit dem Raum und dem Licht in dem Bild „Das Innere einer gotischen
Kirche“. Dabei verfolgte er einen ähnlichen Ansatz wie Janssens: Der vordere Raum ist halb dunkel und
durch Lichtflecken erleuchtet. Der hintere Teil, das Hauptschiff, ist durch seine größeren Fenster deutlich heller. Das Gemälde mit seinen zahllosen Spitz- und Rundbögen erscheint wie ein Vexierbild. In ihm sind Eindrücke aus zwei Kirchen verarbeitet. Es ist auch als eine Mahnung gemalt, an das tödliche Ende
zu denken: Im Dunkel des Vordergrunds hebt ein Totengräber eine Grube aus.

31. 3. 2006

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