Ausstellung Hildegard Jaekel und Nasira Turganbaj bei Plansecur
Zwei Welten treffen aufeinander: Malerei und Keramik. Hier die spröden Oberflächen sowie Formen, die sich nicht festlegen lassen wollen, und dort die perfekten Rundungen und glänzenden Objekte. Verschiedener könnten die künstlerischen Ausdrucksmittel nicht sein. So denken wir und haben dabei nicht Unrecht. Ja, vom Ergebnis her ist diese Einschätzung genau richtig. Doch die Biographien der beiden Künstlerinnen, deren Haltungen und deren Verhältnis zu den Materialien sprechen eine andere Sprache.
Wenn Hildegard Jaekel sagt, sie habe immer gern mit der Hand geformt, sie habe es geliebt, aus der Pfütze den Schlamm herauszuschöpfen und ihm Gestalt zu geben, dann ist sie nah dran an der Arbeit von Nasira Turganbaj, die unermüdlich den Ton durchknetet, die Luft aus ihm herauspresst und die unter ihren Händen die erst die zylindrische Form und dann die Rundungen wachsen lässt.
So überrascht es nicht, dass beide den Urgrund ihrer künstlerischen Arbeit in der Keramik haben. Nasira Turganbaj hat bei ihrer Ausbildung an der Akademie in Kirgisistan in den 90er Jahren die Keramik zu ihrer Profession gemacht, und Hildegard Jaekel fand über die Keramik den Weg in ihre künstlerische Arbeit, zuerst an der Hochschule in Saarbrücken, später in Kassel, wo sie in den Bann von Walter Popp geriet, der bis zu seinem Tod im Jahre 1977 zwei Jahrzehnte lang die Keramik in Kassel deutschlandweit zu einer ersten Adresse gemacht hatte. Nasira Turganbaj wiederum studierte bei dem Popp-Schüler und -Nachfolger Ralf Busz. So kreuzten sich ihre Wege, ohne dass sie voneinander wussten. Und beide sind ihren Materialien treu geblieben – Ton, Quarz, Sand, Asche und farbige Erde.
Hildegard Jaekel hat sich für die Malerei entschieden. Auch in dieser Ausstellung stellt sie sich mit malerischen Arbeiten vor. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich vom Plastischen verabschiedet hätte. Im Gegenteil, wenn sie über sich und ihre Arbeit nachdenkt, ordnet sie sich lieber als Bildhauerin ein denn als Malerin. Im Grunde, so meint sie, sei es ganz gleich, ob sie nun eine Fläche mit der Hand forme oder ob sie die Materialschichten mit dem Pinsel und Spachtel auftrage. Also tut man gut daran, wenn man die hier ausgestellten Werke als Bildobjekte begreift, die in den Raum hinein wirken. Dann kann man nachvollziehen, was sie meint, wenn sie sagt: Ich habe mich entschlossen, an die Wand zu gehen, was ich eigentlich nicht wollte.
Überhaupt ist es schwer, Hildegard Jaekel einzuordnen, weil die üblichen Schubladen nicht passen. Das hängt damit zusammen, dass die Künstlerin viel zu viele Einfälle hat und gleichzeitig auf mehreren Ebenen tätig ist. Angestoßen durch die Einladung zu einer Ausstellung mit Zeichnungen erinnert sie sich daran, dass sie Kompositionen aus feinen Netzstrukturen geschaffen hat. Also arbeitet sie seither an einer Serie, in der sie mit dem Stift so zarte und kleine Netze anlegt, dass sie nur unter der Lupe gegeneinander abgegrenzt werden können.
Dann wieder bringt sie Zeichnungen hervor, die wir bestenfalls als reliefartige Bildtafeln einstufen würden. Die Rede ist von dem schwarz-roten Block, der aus sechs gleichgroßen Stelen besteht. Diese Bildtafeln schließen sich an die Gemälde an, die mit Erden und Ruß gemalt sind. In diesem Fall ist grobkörnige Asche auf die Holztafeln aufgetragen worden. Die schwarze Asche wirkt grob und spröde. Die kleinen Partikel brechen aber immer wieder die Fläche auf und reflektieren das Licht, so dass die Schwärze ins Graue changiert.
Überraschend an dem Bildblock ist der starke und dabei konstruktivistische Farbkontrast. Die glatten Flächen stellen mit ihren roten Streifen und Blöcken eine Dialogsituation her. Es entsteht der Eindruck, als würde das Rot durch die Tafeln wandern. Links- und rechtsaußen bilden schmale rote Streifen den Abschluss oder auch den Übergang zu einer geschlossenen Form. Und im Zentrum prallen die Gegenätze aufeinander: Während die eine Tafel das Rot verweigert, dominieren auf dem Bild daneben die zwei quadratischen Blöcke in strahlendem Rot.
Ungewöhnlich an der Arbeit ist die strenge Abgrenzung der Farbflächen – gerade auch im Vergleich mit den anderen hier ausgestellten Bildern. Doch genau das gehört zum Wesen von Hildegard Jaekels Werk, dass sie in Abständen immer wieder einmal konstruktive Bildtafeln mit klaren Kontrasten gestaltet und somit eine Gegenwelt zu ihrer sonstigen Arbeit schafft.
Die anderen Gemälde hingegen bleiben offen und gewissermaßen rätselhaft. Das fängt damit an, dass Hildegard Jaekel ihre Farben anmischt und dabei genau weiß, woher sie stammen und welche Geschichte und welches Licht sie mitbringen: Erden aus Kassel und Süditalien sowie Ruß, Asche und Steinstaub. Es sind der Natur entnommene Materialien und Farben, die die Künstlerin gesammelt hat oder die Freunde von ihren Reisen mitbrachten. So entsteht räumliche Nähe zu den Farben und den daraus gefertigten Bilder. Die Tafeln erzählen vom schichtenweisen Aufbau, von der Plastizität. Es sind freie, suchende Formen, die Verknüpfungen herstellen.
Die Bilder wirken abstrakt. Aber in ihnen ergibt sich oft eine unmittelbare Räumlichkeit. Und bisweilen gewinnen diese mit Erden gestalteten Bilder gegenständliche Kraft. So legen sich in einem Gemälde (2004/4) Linien derart plastisch auf die Fläche, dass man an Körpertorsi denkt. Auch in dem Gemälde 2005/3 deuten die Linien Körperformen an. Noch spannender aber wirkt im unteren Bereich dieser Arbeit, dass sich eine Linie, die Licht und Schatten trennt, so in die Farbmasse eingräbt, dass eine reale Form, eine Öffnung, entsteht. Wenn man solche Spuren aufnimmt, ahnt man, wie vielfältige Ebenen sich auf der Bildfläche entwickeln können.
Die Unterscheidungen, die wir gern zwischen den Werkgruppen treffen, spielen für Hildegard Jaekel keine Rolle. Sie wechselt die Ausdrucksmöglichkeiten und experimentiert, wobei ohne tiefere Bedeutung ist, ob auf den Gemälden ungegenständliche Farbkörper entstehen oder ob sie ihrer Lust am Erzählerischen nachgibt. Das gilt beispielsweise für das Bild „La Luna“, das sich räumlich öffnet und unversehens eine Landschaft entstehen lässt, die von der weißen Mondkugel beleuchtet wird.
Die Bildtafeln, die sie hier sehen, sind Mischtechniken. Hildegard Jaekel weiß, dass nicht jede Form oder Struktur neu erfinden muss. So hat sie vor einiger Zeit für sich entdeckt, welche faszinierenden malerischen Räume auf der Bildfläche entstehen, wenn sie Teile der Komposition mit Gaze abdeckt und auf diese Weise plastische Wirkungen erzielt. Die Farben scheinen zu vibrieren.
Die Lust am Experimentellen zeichnet auch die Arbeitsweise von Nasira Turganbaj aus. Sie hat eine lange und ausführliche Ausbildung genossen, erst in ihrem Heimatland Kirgisistan, dann an der Kunsthochschule in Kassel, wo sie der Keramik-Klasse von Ralf Busz angehörte und wo sie nach dessen Ausscheiden bei Urs Lüthi und Alf Schuler das Studium abschloss. Dass sich Lüthi und Schuler für sie einsetzten, spricht nicht nur für die Offenheit der beiden Künstler-Professoren, sondern beweist außerdem, dass Nasira Turganbaj über die Keramik hinaus denkt und neue Gestaltungsformen erprobt. Auch diese Ausstellung belegt, wie stark sie – unabhängig vom Material – ins allgemein Künstlerische zielt und uns überraschende Bildwelten zugänglich macht.
Aber lassen Sie mich mit der Keramik beginnen. Die zentrale Arbeit ist der Kreis, den die zwölf Vasen bilden. Ein Gefäß ist wie das andere, hergestellt in der klassischen Kugelform. Die Vasen lassen ein Bild der Vollendung, der Perfektion entstehen, magisch aufgeladen durch die heilige Zahl 12. Sie fügen sich wie die Glieder einer Kette zusammen, weshalb die Künstlerin sie als „Perlen“ sieht, die sie wie auf einem Band aufgezogen hat. . Die Regelmäßigkeit der Formen zieht uns in ihren Bann.
Und doch müssen wir unsere Augen von ihnen lösen, um die Oberflächen zu betrachten, um zu sehen, welche Vielfalt Nasira Turganbaj gewinnt, wenn sie die glasierten Gefäße in den Brennofen gibt, sie dann aus dem Feuer holt, abkühlt und dabei jene Netzstruktur entstehen lässt, die wir als Krakelee bezeichnen. Die Vollendung der Form auf der Töpferscheibe ist für die Künstlerin Voraussetzung, aber nicht Ziel der Arbeit. Ihr Augenmerk gilt der Zeichnung, die sich beim Reißen der Glasur von selbst bildet. Dieses feingliedrige Aufspringen der Glasur vollzieht sich nach eigenen, natürlichen Gesetzen. Nasira Turganbaj bemüht sich, zumindest teilweise diesen Prozess zu steuern. Wenn Sie der Reihe nach die Oberflächen der einzelnen Keramiken studieren, entdecken Sie, wie gut es der Künstlerin gelingt, korrigierend einzugreifen. Da sehen Sie ein Gefäß, das auf der einen Seite von einem großmaschigen Netz überzogen worden ist, dort haben sich Strukturen gebildet, die an Stadtpläne erinnern, und da wiederum färbt sich eine Oberfläche dunkel ein oder zerfallen die Netze in Runenzeichnungen. Je länger und genauer man diese zwölf Vasen betrachtet, desto stärker treten diese Zeichnungen hervor. Dann erkennt man beispielsweise auch, wie sich auf einer Oberfläche innerhalb der großmaschigen Netzstruktur kleine Wabenformationen bilden.
Diese Beobachtungen lassen sich auf die anderen Keramiken übertragen. Die Außenhaut wird zur Projektionsfläche, bei deren Ausgestaltung die Naturgesetze und die Kunstfertigkeit der Künstlerin miteinander konkurrieren. Dass das Interesse der Künstlerin weit über die gedrehten und aufgebauten Gefäße hinausgeht, wird an den Platten deutlich, die Nasira Turganbaj wie kleine Tische präsentiert. Das, was bei der Betrachtung der Gefäße erst frei gelegt werden musste, entfaltet sich auf den Platten wie in freien Kompositionen. Da entwickeln sich verschiedene Erzählansätze – hier sieht man einzelne, sich in der Weite verlierende Spuren, dort verdichten sich die dunklen Linien zu Schattenzonen und Landschaften.
Immer geben die grauen und bräunlichen Farben den Ton an, die von der Glasur geschützt werden. Nur einer kleinen Platte fehlt die Glasur. Sie wurde im Feuer schwarz gebrannt. Sie ist vom Brand gezeichnet.
Auf der rechtwinkligen Fläche entwickelt sich auf mehreren Ebenen ein variationsreiches, dynamisches Linienspiel. Die Keramikerin ist zur Zeichnerin geworden, die immer neue Einblicke in die Strukturen eröffnet. Dieser Aspekt fasziniert die Keramikerin so sehr, dass sie gelegentlich Ton, Steinzeug und Schamotte hinter sich lässt. Sie fotografiert einen kleinen Ausschnitt aus einer vom Krakelee geprägten Glasur, vergrößert ihn ums Vielfache und reproduziert ihn. So können wir in eine Welt der Zeichnungen blicken, die uns sonst verschlossen bliebe. Ein Bild entsteht, das man so nicht gestalten könnte. Aber sie hat einen Namen für diese Fotografie gefunden. Ganz im biblischen Sinne heißt es „Der brennende Dornbusch“.
Farben des Feuers und der Erden
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