Schreiben und schneiden, zeichnen und malen und natürlich drucken

Die Welt des Ali Schindehütte

Im Jahre 1970 brachte der Merlin Verlag die sechs Zentimeter dicke Kassette Werkstatt Rixdorfer Drucke heraus, die fünf Bücher enthielt. In dem umfangreichsten Band stellte Heinz Ohff die Druck-Werkstatt insgesamt und sämtliche dort hergestellten Plakate, Flugblätter, Mappenwerke und Bücher anlässlich einer Ausstellung im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen vor. Die vier schmalen Bände galten jeweils einem der in der Werkstatt tätigen Künstler – Uwe Bremer, Ali Schindehütte, Johannes Vennekamp und Arno Waldschmidt.
Die Kassette ist bis heute ein maßstabsetzendes, opulentes Werk, das sich 1970 nach sieben Jahren gemeinsamer Arbeit unter dem zum Markenzeichen gewordenen Rixdorfer als Bilanz, als Oeuvre-Verzeichnis verstand. Wenn man es genau nimmt, gehörte zu diesem Auftritt ebenso eine Portion Frechheit wie bei vielen ihrer Bilder und Drucke. Wohl hatten die 68er für viel frischen Wind im Lande gesorgt, aber der 50er-Jahre-Mief war längst nicht hinausgepustet.
Hatten die Rixdorfer das Ziel ihrer Träume erreicht? Gehörten sie nun zum Establishment, dass sie zurückschauen und sich feiern lassen konnten? Oder waren sie gar am Ende?
Nein, im Gegenteil, sie fingen gerade erst richtig an. Sieben arbeitssame Jahre ließen sie Revue passieren. Doch aus heutiger Sicht muss man sagen: 46 kreative Jahre lagen noch vor ihnen. Und das damalige dickleibige Werk, für das der Dichter Günter Bruno Fuchs Pate gestanden hatte, sollte nur eine von Dutzenden Publikationen sein, die im Laufe der Jahre erschienen.
Wohl wurde 2013 der 50. Geburtstag der Rixdorfer gefeiert, doch die Künstler sind längst unterschiedliche Wege gegangen. Umso mehr fasziniert, wie viele Elemente aus der Anfangszeit sich bis in die Gegenwart gehalten haben. Das gilt vor allem für die Werke und Publikationen von Ali Schindehütte, der wie Arno Waldschmidt übrigens ein Kind der Kasseler Akademie ist.
Da ist zuallererst die kindliche Liebe zum Bild. Klecksend wandert Schindehütte von Blatt zu Blatt, nimmt Anleihe bei den Altvorderen, sucht die Nähe zu den Cartoonisten, versteckt sich hinter naiv scheinenden Figuren und Apparaturen, reicht die Elefantenrüssel an die gar nicht so vornehmen Damen und Herren weiter, verwandelt Menschen und Tiere heitere Wesen, verlegt den Striptease in den Männerkopf , lässt die Lieblingssängerin mit ihren vier Brüsten triumphieren und verzaubert uns als Märchenerzähler. Ali Schindehütte kramte immer gern in der Zauberkiste, um Katze und Knabe zueinander zu gesellen, um die Lust auszuleben und die Welt mit Brüsten üppig auszustatten.
Zum Bild gehört die Schrift. Und die war von Anfang an weit mehr als Erläuterung und Kommentar. Sie war immer auf dem Weg, selbst Bild zu werden. Diese geschwungenen Bögen, diese schnellen Wechsel von der zarten Spirale zu dem breiten Strich, der aus einem Notenblatt stammen könnte. Schon in dem Band von 1970 behauptet sich der Rhythmus der Schrift neben den Bildern. Doch Schindehütte arbeitete an ihr, ließ sie im Lauf der Jahre noch zarter, eleganter und ausschweifender werden. Er ließ ihr Luft und Raum für Bildelemente. Immer häufiger passierte es, dass die Schriftzeilen sich von der Unterkante der Bilder lösten und zu festen Bestandteilen der Kompositionen wurden. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die 1986 entstandene Tuschezeichnung Froschprinzessin, in der die Schriftsäule sich an den Rücken des Mädchens anlehnt.
Ali Schindehütte ist vor allem ein Zeichner, auch wenn er Blumen und Märchenfiguren in lavierten Tuschezeichnungen malt oder Lithographien, Radierungen, Linolschnitte und Holzschnitte druckt. In vielen seiner grafischen Werke sind die Figuren und phantastischen Szenen mit dünnsten Linien umrissen. Aber auch schon 1970 stieß man gelegentlich auf Holz- und Linolschnitte, in denen die satten schwarzen Flächen dominieren und die prägenden weißen Linien, die den erzählerischen Gehalt tragen, fast unauffällig werden. Vor allem die Riesenholzschnitte der letzten Jahre gewinnen ihre magische Kraft durch den Gegensatz von schwarzem Samt und weißer Lineatur.
Ja, Ali Schindehütte ist ein grandioser Erzähler, auch wenn er sich zuweilen in der Rolle des Illustrators versteckt. Er liebt es, die Sprachen und Stile zu wechseln. Und indem er auch uns vertraute Stoffe neu erzählt, verwandelt er sie, um uns in neuer Weise zu fesseln.
Ja und dann ist da die Liebe zur Werkstatt, zum Prozess. Sicher, er braucht Ruhe und Konzentration zur Arbeit. Aber mit kindlicher Freude lässt er die Menschen, die sich für seine Bilder interessieren, an der Umsetzung der Konzepte teilhaben. Das hatte Ali Schindehütte schon in den 60er Jahren in der Gruppe der Rixdorfer gelernt, dass zum grafischen Werk die Offenheit gehört. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass in jener Zeit die Kunst auch für Normalbürger erschwinglich sein sollte und die Druckgrafik eine Neugeburt erlebte. Schindehütte blieb diesem eingeschlagenen Weg treu. Beispielsweise gab er 2013 das Buch Diptychon der Märchenbrüder heraus, um zu zeigen, dass der Riesenholzschnitt mehr als nur sein Werk ist – nämlich eine Gemeinschaftsarbeit, die viele Menschen an die Kunst heranführt.
Wollte man Ali Schindehüttes bis heute erschienenen Bücher (dazu gehört vom Tag der Auslieferung an auch dieses Buch) in einem Regal in einer Reihe aufstellen, hätte man seine Mühe. Nicht nur, weil das Heftchen neben dem dicken Bucheinband stehen müsste, sondern weil die eine Ausgabe schmal und hoch ist, die andere sich als kaum zu bändigendes Leporello erweist. Zu jedem Anlass ein eigenes Format. Genau darin gibt sich Schindehüttes grenzenlose Liebe zum Buch zu erkennen. Er und die Rixdorfer haben dazu beigetragen, dass das Buch als Kunstwerk überlebt.

Sommer 2016

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