Kunst an der Baustelle

Marc Bijls „The simple complexity of it all“ in der Kunsthalle Fridericianum

„MODERN CRISIS“ – zwei Wörter zu je sechs Buchstaben, die in zwei Reihen säuberlich verteilt auf die sechs Säulen des Portikus der Kunsthalle Fridericianum gesprüht sind: Moderne Krise, Krise der Moderne. Man kann sich aussuchen, was sich der Niederländer Marc Bijl (Jahrgang 1970) dabei gedacht hat. Das Graffiti auf den klassizistischen Säulen ist ebenso Ausdruck der Krise der Moderne wie die täglichen Horrormeldungen aus der Finanzwelt.

Barnett Newmans “Broken Obelisk” in neuer FormBijl ist ein urbanr Künstler. Er lebt in Berlin und ist offenbar geprägt von der Vorherrschaft der Baustellen. Alles, so scheint es, befindet sich im Umbau, ist eingezäunt und abgeschirmt und, wie es so üblich ist, mit Parolen besprüht. Und so offenbart sich der Hauptsaal von Marc Bijl wie eine Abfolge kleinerer Baustellen. In der Eingangszone steht so etwas wie ein Bauschild. In Wahrheit könnte es ein Spiegelstreifenobjekt von Daniel Buren sein, das eine in Spiegelschrift auf die gegenüberliegende Wand gesprühte Botschaft lesbar macht: „The construction of life is at present in the power of facts“.

Hier, in dieser Umgebung, gewinnt die „Modern crisis“ einen neuen Sinn. den in und hinter den Baustellen zielt Bijl über die Straßen-und Großstadtkunst hinaus und nimmt die Kunst ins Visier. Wie man bei dem Bauschild eine Verbeugung an Buren unterstellen darf, so stellen sich bei ein Kubusm bei dem silbern spiegelnde Blöcke durch zwei Bänder schwarzer Paletten unterteilt werden, eine Assoziation zu Sol Lewitt und Donald Judd ein. Beide Interpretationen sind möglich: Die längst an ihr Ende gelangte Moderne wird umgebaut. Oder: Selbst in Zeiten der Krise und mitten in der Arbeitswelt behaupten sich die Formen der Kunst.

Unübersehbar wird der Bezug bei der Arbeit „Broken Love“, in der Bijl sich auf Barnett Newmans „Broken Obelisk“ bezieht. Die auf dem Boden liegende Pyramide ist allerdings mit Glitzerfolie überzogen und der abgebrochene Obelisk mit Teer übergossen. Nur auf einer Seite ist der die Skulptur einschließende Zaun geöffnet. Wie unverhofft begegnet man der Kunst. Setzt sie sich überall durch? Oder ist sie gerade noch zu sehen, bevor sie abgeräumt wird?

Erinnerung an Kounellis Bijls Rauchzeichen Judd und Sol Lewitt lassen grüßen

Marc Bijl beherrscht das Spiel mit der Ambivalenz, das allerdings nur die Besucher verstehen, die die Künstler und deren Werke, auf die Bijl Bezug nimmt, kennen oder die entsprechende Erläuterungen bekommen. Hier sind Besucher, die nicht nicht kunsterprobt sind, auf Hilfen angewiesen. Denn es geht nicht nur um das Erkennen der Kunst-Vorbilder, sondern auch um das Erspüren der Doppelbödigkeit.

Wer geübt ist, wird dann im nächsten Raum in dem Rauchzeichen (Peace-Symbol) auf der nackten Wand eine Referenz an Jannis Kounellis erkennen.

Marc Bijls Werk ist komplex und birgt viele Schichten, die man mit einiger Geduld erkennen und gedanklich herauslösen kann. Das gilt noch mehr für seine Video-Clips, die noch einmal den urbanistischen Geist beschwören und mit der Grundidee von Umbau und Abriss spielen.

Aber damit steht Bijl in der bis 15. März laufenden Ausstellung nicht allein. Auch bei Klara Lidén und Cyprien Gaillard tauchen die Bilder von der Umgestaltung der Räume und Städte auf.

21. 1. 2009

Schreibe einen Kommentar