Die Faszination der Strukturen

„Pruitt-Igoe-Falls“ von Cyprien Gaillard in der Kunsthalle Fridericianum

Drei parallele Einzelausstellungen in der Kunsthalle Fridericianum von drei Künstlern, die sich in ihren Arbeiten mit Abriss, Umbau und Verwandlung architektonischer Strukturen befassen. Und noch ein anderes Element eint die drei Ausstellungsprojekte im Fridericianum: Die Beiträge haben alle etwas mit Kunst, mit dem Kunstraum und dem Museum zu tun. Der Franzose Cyprien Gaillard (Jahrgang 1980) spielt allerdings in seinem Ausstellungsbeitrag auf drei sehr unterschiedlichen Ebenen. Seine Arbeit birgt die unterschiedlichsten Facetten.

Rein Wolfs neben der Ente

Den zentralen Raum der Kunsthalle, im ersten Stock, direkt über der Eingangshalle, hat Gaillard in eine Bühne verwandelt, auf der die Kunst und das Museum auf ironische Art in Frage gestellt werden. Gaillard knüpft an Duchamp an. In die Mitte des Raumes hat er eine Bronzeskulptur gesetzt, die eine Ente darstellt, die den Kopf in die Höhe reckt: „Le canard de Beaugrenelle“. Die Skulptur stammt nicht von Gaillard. Vielmehr hat er die Bronze aus dem Pariser Stadtteil Beaugrenelle, der zum Abbruch freigegeben war, gerettet. Doch während Duchamp Alltagsobjekte in Ausstellungen als Kunstwerke zur Diskussion stellte, handelt es sich bei der Enten-Skulptur im Sinne der Erbauer des Stadtteils selbst um ein Kunstwerk (Kunst am Bau). Das heißt: Eine Skulptur, die, so wie sie gemacht ist, nie in der Kunsthalle als Kunstwerk gezeigt worden wäre, wird durch den Zugriff von Cyprien Gaillard nun doch zum Kunstwerk, weil sie in konzentrierter und pointierter Form an den gestalterischen Geist einer Zeit erinnert, der zur Zeit seiner Entstehung als Ausdruck der Moderne galt und der heute dem Untergang preisgegeben worden ist. Die stilisierte Bronze-Ente, die das Produkt einer popularisierten Moderne ist, symbolisiert das große Missverständnis der Kunst-am-Bau-Bewegung, die glauben machte, solche Figuren würden die Hochhaussiedlungen menschlicher machen.

Gaillard - Sprengung 1 Gaillard Sprengung 2 Gaillard Sprengung 3 Gaillard Sprengung 4

Um Abriss geht es auch in Gaillards Video, das auf eine Großbildwand projiziert wird. Mit dem Titel „Pruitt-Igoe Falls“ erinnert Gaillard an die amerikanische Siedlung Pruitt-Igoe, die 1972 als erstes Hochhausquartier der Moderne gesprengt wurde. Das Video dokumentiert die Sprengung eines schottischen Hochhauses, das den architektonischen Projekten für die Commenwealth Games in Glasgow (2014) weichen musste: Wie eine Skulptur steht das Hochhaus in der nächtlichen Landschaft. Symbolhaft bilden die Grabsteine eines Friedhofs den Vordergrund. Anfangs glaubt man, ein stehendes Bild zu sehen – bis man merkt, dass sich Lichter und Gestalten bewegen. Schließlich fällt das Hochhaus in sich zusammen. Die Explosions- und Staubwolke erobert die Bildfläche und schrumpft dann zusammen. Und endlich, wenn man meint, die Wolke würde sich wieder ausdehnen, merkt man, dass an ihrer Stelle ein Wasserfall (Niagara Fälle) zu sehen ist. Diese Wendung ist nicht ganz überzeugend. Aber faszinierend ist der Spannungsbogen, der sich zwischen dieser zusammenfallenden Hochhausskulptur und der simplen Bronze-Ente erbibt, die für die verschwundene Hochhauswelt steht.

Zwischen diesen beiden Werken liegt ein dritter Raum, in den Gaillard als eine diagonale Skulptur einen 24 Meter langen Vitrinentisch gestellt hat. In den zwei mal 50 Vitrinen liegen jeweils neun Polaroidfotos, die ohne Ausnahme streng in Rhombenform zusammengelegt sind. Die neun Bilder ergeben jeweils ein Bild, denn Gaillard hat immer die Fotos mit gleichartigen Strukturen zusammengefügt: Plattenbauten in Tschernobyl, Baumkronen, Gesteinsformationen, Bauprojekte und Ornamente. In vielen Fällen birgt aber das genau in der Mitte liegende Foto ein abweichendes, kontrastierendes Motiv und stellt somit Bezüge zu einem anderen Lebensraum her.

Gaillard - Analogien 1 Gaillard - Analogien 2 Gaillard - Analogien 3

Ein wenig erinnert diese Untesuchung der Strukturen in Natur und Architektur an die Form-Verwandtschaften, die Luis Jacob zur documenta 12 (2007) in den einander zugeordneten Fotos augenzwinkernd aufgesprürt hatte. Diese Arbeit hatte die vier Wände eines ganzen Saals im Fridericianum in Beschlag genommen. Cyprien Gaillards Projekt ist formstrenger. Auch in ihm spielt der Künstler mit dem Konzept und Selbstverständnis des Museums. Denn die Vitrinentische mit ihren strengen Ordnungen erinnern an Präsentationen in Naturkundemuseen. Zugleich erhebt sich der Tisch zu einer monumentalen Skulptur, so dass die Vitrinen zum Werk werden. Allerdings bringt Gaillard auch die Endlichkeit ins Spiel: Die ältesten Polaroids des Projekts „Geographical Analogies, 2006-2009“ beginnen zu verblassen. Irgendwann gehen alle Bilder verloren.

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